Digitalisierung sorgt für ein Plus von Qualität, Effizienz und Patientenorientierung bei der Therapie von Multiple Sklerose
QPATH4MS-Projekt abgeschlossen: Behandlungspfade und Qualitätsindikatoren sorgen bei der kontinuierlichen fachärztlichen Versorgung von MS-Erkrankten für eine zielgerichtete und effiziente Steuerung. Die neuen, auf die Notwendigkeiten einer umfassenden Digitalisierung definierten Indikatoren ermöglichen ein pfadgestütztes Qualitätsmanagement.
Mit dem Abschluss des sächsischen Projekts „Pfadgestütztes Qualitätsmanagement in der MS-Versorgung“ (QPATH4MS) ist ein Set von Behandlungspfaden und daran anknüpfenden Qualitätsindikatoren geschaffen worden, auf dem nun ein digitales Modul für die Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Multiple Sklerose (MS) zur Marktreife entsteht. Träger des seit September 2020 aus Mitteln des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) und des Freistaates Sachsen geförderten QPATH4MS sind die Carus Consilium Sachsen GmbH, das Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, die Technische Universität Dresden sowie die MedicalSyn GmbH und die Symate GmbH.
„Mit unserem Projekt QPATH4MS haben wir bundesweit zum ersten Mal ein Qualitätsmanagementkonzept für die MS-Behandlung geschaffen, das mit einrichtungsübergreifenden, konsentierten Behandlungspfaden konsequent die Perspektive der behandelnden Ärztinnen und Ärzte sowie der Patientinnen und Patienten berücksichtigt. Gerade in Bezug auf die jetzt vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) beschlossene ambulante spezialärztliche Versorgung (ASV) von Multipler Sklerose kann das eine wichtige Rolle in der Versorgungsqualität spielen“, sagt Prof. Tjalf Ziemssen, Leiter des MS-Zentrums sowie des Zentrums für klinische Neurowissenschaften am Dresdner Uniklinikum: „Damit ist uns ein weiterer großer Sprung in Richtung personalisiertes und digitales MS-Management gelungen.“ Prof. Michael Albrecht, Medizinischer Vorstand des Universitätsklinikums Dresden, hebt die in dem Projekt vorangetriebene Integration von Patientinnen und Patienten mit Multipler Sklerose heraus: „Mit QPATH4MS nutzen wir die Digitalisierung offensiv für ein neues Rollenverständnis der Erkrankten. Ihnen wird es damit ermöglicht, sich kompetent und aktiv in den Behandlungsprozess einzubringen. Die mit dem Projekt erzielte Transparenz schafft neue Standards und wird sich hoffentlich als Vorbild für die Versorgung anderer chronischer Erkrankungen durchsetzen.“
Bereits etablierte Standards in Form von MS-Leitlinien und anderen Arbeiten spiegeln nicht den multidimensionalen Managementprozess von MS-Patientinnen und Patienten wider, da sie zumeist nur Teilbereiche und therapeutische Maßnahmen fokussieren. Aussagekräftige Qualitätsindikatoren für eine stringente und flächendeckende Versorgung der Betroffenen waren bisher nicht vorhanden. Ziel von QPATH4MS war es deshalb, aufbauend auf den im Projekt entwickelten klinischen Behandlungspfaden ein Set von Qualitätsindikatoren zu definieren, die verschiedenen Prozessen im Management der MS in den Bereichen Diagnose, Monitoring und Therapie zuordenbar sind.
Eine der Herausforderungen bestand darin, diese Behandlungspfade so zu gestalten, dass sich mit ihnen die Qualität der Behandlung von an Multipler Sklerose Erkrankten dokumentieren, monitoren und im Idealfall noch weiter steigern lässt. Dafür müssen sie einerseits messbar und im Idealfall problemlos digital verarbeitbar sein und andererseits so formuliert und strukturiert werden, dass deren Handling im ärztlichen Alltag so unkompliziert wie möglich bleibt. Dafür wurden aus der vorhandenen Literatur relevante Qualitätsindikatoren extrahiert und mit Hilfe von Experten kategorisiert, zusammengefasst, neu formuliert sowie den klinischen Pfaden der Prozesse zugeordnet.
Auf der Basis einer Online-Befragung wurden die für den Prozess des Monitorings gebildeten Qualitätsindikatoren durch ausgewählte MS-Expertinnen und Experten aus Deutschland, Österreich sowie der Schweiz bewertet. Die Evaluation zeigte, dass der Ansatz auf ein sehr positives Echo stieß. „Diese Rückmeldungen belegen einmal mehr, dass das Anliegen von QPATH4MS den Nerv der Ärztinnen und Ärzte traf“, sagt Prof. Ziemssen. Das liegt auch daran, dass es bisher keine konsentierten klinischen Pfade und messbare Qualitätsindikatoren für die MS-Versorgung gibt. Die in dem Projekt entwickelten Qualitätsindikatoren sind so aufbereitet, dass die Ärztinnen und Ärzte ein wissenschaftlich fundiertes Set an Kriterien an die Hand bekommen und gleichzeitig die abzufragenden oder zu messenden Parameter unkompliziert dokumentieren können.
Die Herausforderung des Projekts bestand nicht allein darin, die Behandlungspfade und Indikatoren anhand des aktuellen Standes wissenschaftlicher Erkenntnis zu identifizieren und dafür die entsprechenden Kriterien ihrer Erfassung zu erarbeiten, sondern auch die so erhobenen Befunde und Daten aufzubereiten, dass sie in einem digitalen Umfeld problemlos übermittelbar und analysierbar bleiben. Während für den ersten Schritt die medizinische Expertise des Multiple Sklerose Zentrums der Klinik für Neurologie des Dresdner Uniklinikums notwendig war, kam in den folgenden Aufgabenbereichen die Forschungsgruppe Digital Health der TU Dresden ins Spiel. Das Wirtschaftsinformatik-Team fungierte als Vermittler zwischen Medizin und IT-Technologie. In dieser Funktion erarbeitete es Schnittstellen, welche die aus den Behandlungspfaden und Qualitätsindikatoren gewonnenen Patientendaten so aufbereiten und darstellen können, dass sie für die Behandelnden ebenso nachvollziehbar sind wie für die von MS Betroffenen und ihre Angehörigen. Für diese Zielgruppe konzipierte und erstellte die Forschungsgruppe Digital Health im Rahmen des QPATH4MS-Projekts ein bedienungsfreundliches Portal.
Hinzu kommen verständliche und situationsorientierte Handlungsempfehlungen, die dazu beitragen, dass die Betroffenen daran mitwirken können, ihren Gesundheitszustand zu erhalten oder sogar zu verbessern. Dieses Portal stärkt damit die Gesundheitskompetenz der Betroffenen, macht sie zur mündigen Patientin und zum mündigen Patienten und lässt sich so besser in wichtige therapeutische Entscheidungen einbinden. Sie bekommen die Chance, selbst die Qualität ihrer eigenen Therapie zu managen.
Um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen, wurde eine All-in-One-Lösung entwickelt, die das Behandlungsmanagement von MS-Betroffenen erstmals aktiv und konsequent in eine elektronische Plattform integriert. Ziel ist es, die Versorgungsqualität, die Patientenzufriedenheit und die Informationstransparenz deutlich zu verbessern. Erreicht wird dies, in dem möglichst viele Aspekte der Diagnostik und Therapie berücksichtigt werden: Von Terminvereinbarungen über die unterschiedlichsten Werte und Dokumente bis zum Überblick der einzunehmenden Medikamente. Damit lassen sich künftig die klinischen Abläufe noch effizienter gestalten und lässt sich vor allem die Kommunikation mit den Patientinnen und Patienten erheblich verbessern.
Der Vorteil der mit dem digitalen Tool geschaffenen Transparenz wird am Beispiel des regelmäßigen, auf Basis der Qualitätsindikatoren kontrollierte Krankheitsverlaufs deutlich: Die MS-Betroffenen erhalten nicht nur einen gut erfassbaren Überblick über den Ist-Zustand, sondern auch über die Veränderungen. Doch diese Verlaufskontrolle ist nur dann aufschlussreich, wenn alle Untersuchungen in den von den Leitlinien und Indikatoren festgelegten Intervallen stattfinden. Über das digitale, im Rahmen von QPATH4MS entwickelte Tool werden die anstehenden Termine angezeigt. Auf diese Weise lassen sich Doppeluntersuchungen vermeiden und zugleich wird die Terminplanung der Praxen und Ambulanzen erleichtert. Aus der Perspektive der an Multipler Sklerose Erkrankten liegt der Vorteil unter anderem darin, einen eigenen unverstellten Überblick über den Behandlungsverlauf zu bekommen und gegebenenfalls selbst an ausstehende Untersuchungen erinnern zu können.
Der Ansatz des Projekts ist es, einrichtungsübergreifend für Transparenz zu sorgen, also allen beteiligten Institutionen die Möglichkeit zu geben, entsprechend ihrer Rolle in der Behandlung auf Daten im Rahmen der MS-Versorgung zuzugreifen oder neue einzustellen. Dadurch lassen sich zeitliche, personelle und räumliche Engpässe vermeiden. Daraus ergibt sich die Chance, die Zeitfenster für Arzt-Patienten-Gespräche auszuweiten. Auch wird es über dieses Tool möglich, ganzheitlich und umfangreich Daten zu weitergehenden Analysen und zum „MS-Management 2.0“ zu sammeln.
Dank des im Rahmen von QPATH4MS entwickelten Tools können beide Seiten, also Behandelte und medizinisches Personal, die Versorgungsqualität zu jedem Zeitpunkt prüfen. Die Betroffenen können ihre Erkrankung besser verstehen und so umfassender als bisher die Therapien unterstützen.
Größtes akademisches MS-Zentrum Deutschlands ist Knotenpunkt von QPATH4MS
Zentraler Knotenpunkt für das QPATH4MS-Projekt bildete das Multiple Sklerose Zentrum (MSZ) an der Klinik für Neurologie des Dresdner Uniklinikums. Mit monatlich rund 1.500 Patientinnen und Patienten mit Multipler Sklerose ist eines der größten akademischen MS-Zentren Deutschlands. Die Einrichtung steht nicht nur für eine umfassende klinisch-interdisziplinäre Versorgung von MS-Betroffenen, sondern hat sich auch der patientennahen Forschung und Digitalisierung verschrieben. Neben zahlreichen Studien zur Diagnostik und Therapie einschließlich der Evaluation innovativer Medikamente steht das Thema Digital Health im Vordergrund: Seit mehr als 20 Jahren werden in dem Zentrum MS-spezifische Patientendokumentationssysteme sowie die Anwendung digitaler Konzepte im Versorgungsalltag erst erprobt und dann in der Routine eingesetzt. Davon profitieren auch die MS-Patientinnen und -patienten. Beispiele dafür sind digitalisierte Testverfahren und Fragebögen, mit denen subjektiv empfundene Einschränkungen durch die Erkrankung erfasst werden. Auf diese Weise können Betroffene selbständig beziehungsweise angeleitet durch Mitarbeitende des Zentrums ihren Zustand dokumentieren. Die Ergebnisse des QPATH4MS-Projekts tragen dazu bei, diesen Ansatz zu perfektionieren.
Statements
Johannes Klaus, Geschäftsführer der Carus Consilium Sachsen GmbH: „Unterstützt durch Fördergelder der Europäischen Union und dem Freistaat Sachsen, konnten wir mit dem Projekt QPATH4MS ein pfadgestütztes Modul für Patientinnen und Patienten mit Multiple Sklerose etablieren, das die Kommunikation aller, die in den langjährigen Behandlungsprozess mit eingebunden sind, wesentlich verbessert. Mit diesem weiteren innovativen Versorgungsprojekt, welches durch die Carus Consilium Sachsen GmbH erfolgreich mit begleitet wurde, kann die Digitalisierung und Stärkung der sächsischen Gesundheitswirtschaft vorangetrieben und dem Strukturwandel entgegengewirkt werden: Kürzere, weil digitale Wege schaffen zwischen den behandelnden Ärztinnen und Ärzten ein Versorgungsplus in ländlichen Regionen und auch durch Ärztemangel verursachte Versorgungslücken können ausglichen werden. Zentrale Herausforderung bleibt allerdings die Vergütung solcher digitalen Hilfsmittel durch die Gesetzliche Krankenversicherung.“
Dr. Hannes Schlieter, Leiter der Forschungsgruppe Digital Health an der TU Dresden: „Digitale Lösungen sind in unserem Alltag bereits selbstverständliche Begleiter, nicht jedoch im Gesundheitswesen. Hier setzt das Projekt QPATH4MS an. In den vergangenen zwei Jahren hat unsere Forschungsgruppe an Lösungen gearbeitet, mit denen das Behandlungsmanagement optimiert und die Interaktion mit den Betroffenen besser verzahnt werden können. Parallel gelang es, die klinische Dokumentation mit einem Informationsportal für die MS-Betroffenen zu verbinden, in dem sie alle Aufgaben, Medikationen sowie Untersuchungstermine auf einen Blick erfassen und sich auch mit ihrer Ärztin oder ihrem Arzt zurückkoppeln können. Auf diese Weise trägt die Digitalisierung dazu bei, dass chronisch Kranke selbst zur Lotsin oder zum Lotsen der eigenen Behandlung werden.
Nach Projektabschluss gilt es, die geschaffene Lösung auch außerhalb des Forschungs- und Entwicklungsprojekts in den Versorgungsalltag zu führen und so zu zeigen, wie Digitale Versorgungsinnovationen „Made in Sachsen“ aussehen können. Die Voraussetzungen dafür sind dank des Projektes und dem starken Verbund von MS Zentrum, TU Dresden sowie den Partnern aus der Wirtschaft geschaffen.
Raimar Kern, MedicalSyn GmbH: „Im Projekt QPATH4MS konnte erfolgreich gezeigt werden, dass eine strukturierte und vernetzte medizinische Datenerhebung auf Basis einer integrativen Datenbank einen Mehrwert für Ärzte und Patienten schafft. Der für das Vorhaben konzipierte klinische Basismonitoring-Pfad für das komplexe Behandlungsszenario der Multiplen Sklerose können die Daten schneller in der digitalen Patientenakte erfasst, zusammengeführt und ausgewertet werden, und stehen im Behandlungssetting direkt zur Verfügung. Die aktive digitale Vernetzung des Patienten mit seinen medizinischen Daten ermöglicht eine viel direktere Integration in seinen individuellen Behandlungsprozess. Mit dem Projektergebnis steht eine exemplarische digitale Plattform zur Verfügung, die ebenfalls für weitere Indikationsgebiete und deren standardisierten, klinischen Pfade zur Anwendung kommen kann. Dank an alle Projektpartner mit dem diese Pionierleistung gelungen ist.“
Dr. Martin Juhrisch, Geschäftsführer der Symate GmbH:
Das Projekt QPATH4MS hat aus Sicht der Symate einen bedeutenden einen Beitrag zum Aufbau einer modernen IT-Architektur geleistet, um intelligente Benachrichtigungsdienste auf Basis von Echtzeitdaten im klinischen Umfeld zu schaffen und dabei auch Behandlungsdaten aus der Vergangenheit intelligent einbeziehen zu können. Das Projekt schafft Grundlagen für den Einsatz von Methoden der künstlichen Intelligenz in integrierten Szenarien zwischen stationärer und ambulanter Versorgung und hat die Chance, Patienten und Leistungserbringer über eine Datenzusammenführung zukünftig enger zu verbinden.
Das Krankheitsbild Multiple Sklerose
In Deutschland leiden mehr als 250.000 Menschen an Multipler Sklerose (MS). Hierbei handelt es sich um die häufigste chronisch-entzündliche, degenerative Erkrankung des zentralen Nervensystems, deren Erstdiagnose vorwiegend bei Menschen zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr gestellt wird, also bei Menschen, die zu Beginn oder mitten in ihrem (beruflichen) Leben stehen. In den meisten Fällen beeinträchtigt die MS die Lebenserwartung der Betroffenen kaum. Aber MS ist derzeit noch nicht heilbar. Jedoch kann eine früh im Krankheitsverlauf begonnene Therapie das Voranschreiten der Erkrankung hemmen. Die Behandlungsstrategien sind heutzutage sehr komplex und mit einem hohen Begleitungs- und Überwachungsaufwand verbunden. Beim Krankheitsbild MS bedarf es einer lebenslangen und ganzheitlichen Behandlung. Da die meisten MS-Patienten zusätzlich an diversen Begleiterkrankungen leiden, sind unterschiedliche Behandlungsgruppen involviert. Um eine Koordination dieser Spezialisten zur Gewährleistung einer erfolgreichen MS-Therapie zu ermöglichen, ist eine strukturierte sektorenübergreifende und pfadgesteuerte Versorgungsplanung und -steuerung unerlässlich. Nur so lässt sich eine erfolgreiche MS-Therapie sicherstellen.
Im Auftrag des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt haben das Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, die Carus Consilium Sachsen GmbH sowie die MedicalSyn GmbH und die Symate GmbH das Innovationsprojekt „Pfadgestütztes Qualitätsmanagement in der MSVersorgung“ durchgeführt. Die Projektumsetzung erfolgte im Zeitraum 03.06.2020 – 31.12.2022 und wurde anteilig aus Mitteln des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) und des Freistaates Sachsen mitfinanziert.
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